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Programm

Herbstseminar | Netzwerk lebendige quartiere

Dienstag, 31. Oktober 2023, 13.15 bis 17.15 Uhr

Quartiere mit jungen Menschen gestalten

Am 31.10.2023 hat im PROGR in Bern das Herbstseminar des Netzwerks lebendige Quartiere zum Thema „Quartiere mit jungen Menschen gestalten“ stattgefunden. Die Teilnehmenden und Referierenden sind gemeinsam Fragen rund um Jugendpartizipation in partizipativen Planungsprozessen nachgegangen. Wie können Jugendliche in Planungsprozesse miteinbezogen werden? Wie kann eine co-kreative Produktion von Quartier und Stadt mit Jugendlichen gelingen? Welche Rolle und Verantwortung kommen dem Gemeinwesen und den Städten zu?

Gute partizipative Prozesse zu gestalten ist schwierig: sie sollen spannend sein, aber nicht zu zeitintensiv. Auch sind die Erwartungen an partizipative Prozesse vielfältig und teilweise widersprüchlich. Für die Prozessteilnehmenden benötigt Partizipieren verschiedene Ressourcen: Zeit, Kraft, Mut, Verhaltenswissen, Sprachkompetenz, … Diese Kombination aus verschiedenen Faktoren machen es schwer, Teilnehmende für partizipative Prozesse zu finden. Noch schwieriger ist es, Jugendliche für partizipative Prozessen zu gewinnen. Dies ist bedauerlich, da gerade Jugendliche relevante Ansprechpersonen für Planungsprozesse, rund um den öffentlichen Raum sind: sie verbringen mehr Zeit im öffentlichen Raum als sämtliche anderen Bevölkerungsgruppen. Gerade planerische Verfahren wirken oftmals, als bedingten sie eine Menge Fachwissen (Kenntnisse in Architektur, Kenntnisse der Ortsplanung, Richtpläne, etc.), wohingegen das Alltagswissen von Jugendlichen nicht als Fachwissen gewertet wird. Jugendliche für raumplanerische und städtebauliche Themen zu sensibilisieren und ihre Teilhabe an diesen Prozessen, schafft inklusivere Städte, welche ihre Anliegen berücksichtigen. Die Städte werden so menschengerechter.

Im ersten Teil der Veranstaltung sind diese Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven in vier Input-Referaten besprochen worden. Danach haben sich die Teilnehmenden in verschiedenen Workshops mit Praxisbeispielen auseinandersetzen und die Rolle der Quartierarbeit bei der Inklusion von Jugendlichen in Planungsprozesse der Städte gemeinsam diskutieren können.

Referate

Johannes Küng ist Dozent und Projektleiter am Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern im Bereich Soziale Arbeit und Beauftragter für Quartier- und Freiwilligenarbeit in Opfikon, Zürich. In seinem Vortrag bringt er seine praktische Arbeitserfahrung in der Quartierarbeit mit seiner Arbeit an der HSLU zusammen. Er macht darauf aufmerksam, dass Jugendpartizipation nicht durch einen organisierten Prozess beginnt, sondern bei der Präsenz von Jugendlichen im öffentlichen Raum. Bei den daraus resultierenden Nutzungskonflikten wird den betroffenen Jugendlichen oft das Gefühl gegeben, dass auf ihre Anliegen kein besonderer Wert gelegt wird. Insofern ist der erste Schritt für eine gelungene Partizipation von jungen Menschen ein wertschätzendes Verständnis. Weiter bedingen partizipative Prozesse klare Erwartungshaltungen an die Jugendlichen und eine Benennung der identifizierten Mitwirkungsmöglichkeiten. Dies bedingt eine inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit in der Quartierentwicklung, in der das Wissen soziokultureller Animator:innen von Anfang an, schon beim Design, in Planungsprozesse eingebunden wird.

Sonia Curnier und Lucien Delley sind am Laboratoire de sociologie urbaine der École polytechnique fédéral de Lausanne angestellt. Sonia und Lucien betreuen ein Projekt in der Genfer Agglomerationsgemeinde Vernier im Quartier Le Lignon. Le Lignon ist eine Grosssiedlung, welche aus einem einzigen sehr langen Wohnblock besteht. Lucien und Sonia sind angestellt worden, um die dortigen Nachbarschaftsprobleme zu lösen. Die beiden haben gemeinsam mit dem Verein Chantier ouvert einen Prozess entworfen, an welchem sich die Bewohnenden beteiligen, und nicht explizit an die Jugendlichen, wie bei der Auftragsvergabe vorgesehen. Die Arbeitsgruppe hat sich bewusst für diese Lösung entschieden, weil die Jugendlichen so als Teil des Bewohnenden angeschaut werden und diese nicht gesondert behandelt werden. Der Phase der Partizipation geht eine Phase der Beobachtung voraus, welche es erlaubt, die Nutzungskonflikte zu beobachten und räumliche Defizite sowie falsche Anschuldigungen zu Wichtige Mittel der Partizipation sind die Präsenz vor Ort, kreative Mittel wie Zeichnungen. Ausserdem werden einige der Wünsche und Anliegen mit Sofortmassnahmen umgesetzt, damit die Anwohnenden bereits während des Prozesses Veränderungen wahrnehmen.

Muriel Sanchez Solorzano und Emilie Loertscher sind Paritzipationskoordinatorin, respektive Projektleiterin im service des quartiers, jeunesse et familles der Stadt Lausanne. Sie erzählen, mit welchen Mitteln die Stadt Lausanne die Jugendpartizipation fördert. Einerseits hat die Stadt durch die Stelle der coordinatrice participation einen Anlaufsort geschaffen, welcher sich explizit um die Fragen der Partizipation kümmert. Deren Aufgabe ist es, frühzeitig die verschiedenen Bedürnisse in der Verwaltung zu verstehen, und diese ggf. zu gruppieren (damit im selben Quartier nicht mehrere Befragungen zu verwandten Themen in kurzem zeitlichem Abstand entstehen). Ausserdem wurde stadtintern festgestellt, dass das Fachwissen zur Organisation von partizipativen Prozessen fehlt oder ungenügend weitergegeben wird. Deswegen hat die Stadt Lausanne gemeinsam mit dem Unicef einen Leitfaden erarbeitet, welcher Interessierten als Hilfsmittel zur Verfügung steht. Er enthält eine kleine Einführung zu Partizipation, setzt sich anschliessend mit der Frage auseinander, wann Partizipation sinnvoll ist, und hilft dann Schritt für Schritt bei der Umsetzung. Durch Aktivitäten wie den Rat der Kinder oder das Jugendparlament werden Kinder und Jugendliche auch in die Quartierentwicklung einbezogen und später auch politische Partizipation auf städtischer Ebene herangeführt.

Ainhoa Martinelli und Nour Scherer sind engagierte Jugendliche, welche sich neben ihrer Ausbildung auch im Klimastreik und anderen Projekten ehrenamtlich engagieren. Die beiden haben mehrere Ideen eingebracht, wie Jugendpartizipation verbessert werden kann. Sie erklären, dass Partizipation in den Köpfen der Erwachsenen beginnt: Jugendliche müssen mitgedacht werden, es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass überhaupt partizipiert werden kann, aber auch Möglichkeiten geschaffen werden, dass sich Jugendliche selbst organisieren können. So könnten beispielsweise Partizipative Planungsprozesse während der Schulzeit durchgeführt werden. Generell sollten Erwachsene mehr Vertrauen in Jugendliche haben und ihre Forderungen ernst nehmen. So stellt die Klimajugend ihre Forderungen und Ideen auf ihrer Webseite allen Interessierten zur Verfügung, diese werden aber selten abgerufen oder beachtet. Richtige Partizipation bedingt eben Vertrauen in die Ideen und (Selbst-)Organisation von Jugendlichen zu haben.

Ateliers

Am zweiten Teil des Nachmittags sind in sechs Ateliers konkrete Themen und Projekte vorgestellt und diskutiert worden. Die Themen in den Ateliers sind breit und reichen von Jugendpartizipation in der Ortsplanungsrevision von Kriens, zu der Rolle von bestehenden Rollen und Trägervereinen wie der Dachverband offene Jugendarbeit Schweiz (DOJ), bis hin zur Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen zu den Themen Städtebau und Baukultur. Eindrücke aus den Ateliers und diskutierten Projekten erhalten Sie durch einen Klick auf die Präsentationen.

Atelier 1: Die UNICEF Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde»: Was bringt die Initiative in Bezug auf die Förderung der Partizipation von Jugendlichen im öffentlichen Raum 

Atelier 2: Die Herausforderungen eines Projekts für den öffentlichen Raum, Ville en tête

Atelier 3: Kriens 2033 – Unsere Zukunft in meinen Händen! Stadt Kriens und SpielRaum

Atelier 4: Nachhaltige Partizipation durch Ressourcen der OKJA

Atelier 5: Gestaltung des öffentlichen Raums: Der Aufbau von Beziehungen zu Jugendlichen als Grundlage für qualitativ hochwertige Mitwirkungsverfahren, Centre de loisir Neuchâtel 

Atelier 6: STADT(T)RAUM, drumrum Raumschule

Zum Schluss sind die Ergebnisse kurz im Plenum diskutiert worden. Als besonders wichtig wird hervorgehoben, dass Jugendpartizipation Vertrauen und Offenheit gegenüber den Jugendlichen sowie Kreativität und Ergebnisoffenheit in der Formatwahl bedingt. Partizipation kann aber auch ermöglicht werden, indem Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, sich selbst zu organisieren und ihnen dafür Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird. Die oft bemängelte Repräsentativität in Partizipationsverfahren könnte relativ einfach gelöst werden, wenn die Partizipation mit Schulklassen während der Schulzeit durchgeführt würde. Zuletzt gilt es auch festzuhalten, dass die Jugendlichen keine homogene Gruppe sind und unterschiedliche Bedürnisse haben. Hier gelten die gleichen Punkte wie bei Partizipationsveranstaltungen für Erwachsene: die Jugendlichen, welche am lautesten sprechen, sind nicht stellvertretend für die Meinung sämtlicher Jugendlicher.

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