Wie gelingt gutes Älterwerden in und mit dem Quartier? Welche Rolle spielt die Quartierarbeit für das Zusammenleben aller Generationen und für eine gute Lebensqualität und Betreuung im Alter? Welche lokalen Strukturen und Prozesse benötigen wir, um den demografischen Wandel gemeinsam zu bestreiten? Diesen Fragen sind wir am Frühlingsseminar des Netzwerks Lebendige Quartiere gemeinsam auf den Grund gegangen.
Die Bevölkerungsszenarien des Bundesamts für Statistik rechnen mit einer Verdoppelung des Anteils an Personen über 80 Jahren in der Schweiz von 5,4 auf 10,6 Prozent bis ins Jahr 2050. Ein zunehmender Anteil dieser Personen wird keine Angehörigen haben oder keine, die nahe genug wohnen, um Hilfe und Betreuung zu übernehmen. Der demografische Wandel ist demnach insbesondere in der Frage der Pflege und Betreuung eine grosse gesellschaftliche Herausforderung. Neue Formen des Zusammenlebens und der Einbezug der aktiven 3. Generation bergen demgegenüber grosse Potentiale gegen diese starke Individualisierungstendenzen. Das Quartier als Lebensraum und als Ort der Identitätsstiftung kann dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Für ein gelingendes, gesundes und selbstbestimmtes Älterwerden im vertrauten Umfeld sind FreundInnen, NachbarInnen, lose Kontakte und Begegnungen sowie soziale Beziehungen zentrale Faktoren. Wie sich das lokale Umfeld organisiert und organisieren lässt, ist deshalb entscheidend für eine gute Lebensqualität in jedem Alter.
Im ersten Teil der Veranstaltung erhielten die rund 120 Teilnehmenden durch 3 Inputreferate einen Überblick der aktuellen Forschung und Praxis zu den Fragen rund ums Älterwerden in und mit dem Quartier. Anschliessend bot sich die Gelegenheit, in sieben Ateliers konkrete Projekte, Fragestellungen und Herausforderungen zu diskutieren.
Ulrike Armbruster Elatifi von der Hochschule für soziale Arbeit Genf (HETS Genève), führte in das Thema ein. Der demographische Wandel ist in vollen Zügen: allein zwischen 2020 und 2021 stieg die Zahl der Personen im Alter von 65 Jahren und mehr um 1.9 Prozent. Und da ein grosser Teil der Bevölkerung in den Städten lebt, betrifft die Alterung der Gesellschaft die Städte stark.
Um die Bedürfnisse von älteren Personen im Raum Genf zu eruieren, führte Ulrike Armbruster Elatifi Interviews mit betagten Personen durch, die im Durchschnitt 79 Jahre alt waren. Ein besonderes Augenmerk legte sie dabei auf das infrastrukturelle und soziale Umfeld der älteren Personen. Das infrastrukturelle Umfeld ist entscheidend, um den älteren Personen Mobilität zu ermöglichen. Dies fängt beim Bett an und führt über den Hauseingang bis in die öffentlichen Räume. Der urbane Raum mit Randsteinen, anderen Verkehrsteilnehmenden und sonstigen Hindernissen können für ältere Personen eine grosse Herausforderung sein. Hier gilt es als öffentliche Hand anzusetzen, und barrierefreie öffentliche Räume zu gestalten.
Nicht minder wichtig ist das soziale Kapital, d.h. die sozialen Beziehungen und Bekanntschaften, älterer Menschen. Dieses bringt das Umfeld nach Hause und bildet somit eine Brücke zwischen innen und aussen. Die Altersarbeit in den Quartieren kann auch hier eine Mediationsfunktion einnehmen. Ältere Personen brauchen nämlich oftmals Unterstützung, um ihre Ausgänge zu planen und durchzuführen. Auch die Politik ist hier gefordert, um die Anliegen und Stimmen der älteren Personen zu hören und zu berücksichtigen.
Robert Sempach ist Initiant des Netzwerks Caring Communities Schweiz. Das Netzwerk ist eine Austauschplattform, in welcher sich «sorgende Gemeinschaften» vernetzen und austauschen können. Sorgende Gemeinschaften sind für alle Altersgruppen wichtig, der Care-Bedarf steigt aber mit zunehmendem Lebensalter an. Denn Gemeinschaft ist eine der wichtigsten Gesundheitsfaktoren und trägt massgebend zur Lebensqualität bei, indem sie Verbundenheit und tragfähige Beziehungen fördert.
Caring Communities orientieren sich am «guten Leben für alle». Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum sind dabei fliessend. Die Partizipation, Arbeit und Verantwortung werden dabei zwischen Freiwilligen, Professionellen und Alten geteilt. So kann eine Selbst- und Gemeinschaftssorge entstehen. Das Netzwerk Caring Communities hilft, solche Gemeinschaften aufzubauen und zu pflegen, sei es durch Vernetzung, Erfahrungsaustausch oder Anschubfinanzierungen.
Im dritten Input gaben Stéphane Birchmeier, Sandrine Gilliéron und Joëlle Oudard der Abteilung Soziales der Stadt Genf einen Überblick über die sozialen Initiativen im Bereich der Alterspolitik der Stadt. Auch die Stadt Genf spürt als zweitgrösste Schweizer Stadt und dynamischer Raum die demographische Veränderung stark. Sie hat darauf reagiert und in den letzten Jahren ihre Alterspolitik ausgebaut.
Der Fokus der Genfer Alterspolitik liegt auf drei Zielen. Erstens sollen die alten Personen in das lokale Leben integriert werden. Ältere Menschen sollen durch Aktivitäten ins Quartierleben eingebunden werden. Zweitens sollen die Informationen über bestehende Angebote verbessert werden, damit die Zielgruppe auch erreicht werden kann. Und drittens wird gegen Einsamkeit vorgegangen.
Um dies zu erreichen, wurden Plattformen in den Quartieren geschaffen. Orte, an denen sich die älteren Personen treffen können und ihr soziales Netzwerk ausbauen können. Dafür werden Restaurants, Quartierhäuser, Bibliotheken oder sonstige öffentliche Räume genutzt.
Im zweiten Teil des Nachmittages wurden in sieben Ateliers konkrete Themen und Projekte vorgestellt und diskutiert. Die Themenvielfalt war breit; Von Altern zuhause über gemeinschaftliches Wohnen und Caring Communities bis zur partizipativen Gestaltung von Aussenräumen war alles dabei. Eindrücke aus den Ateliers und diskutierten Projekten erhalten Sie durch einen Klick auf die Präsentationen.
Zum Schluss wurden die Ergebnisse kurz im Plenum diskutiert. Eine Erkenntnis, die bleibt: Die Quartierarbeit kann eine zentrale Vermittlerrolle einnehmen, um gutes Älterwerden in und mit dem Quartier zu ermöglichen. Sie vernetzt AkteurInnen aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft und leistet in der täglichen Arbeit auf dem Feld einen wichtigen Beitrag zum gelingenden Zusammenleben aller Menschen vor Ort.
Ulrike Armbruster Elatifi, maitre d’enseignement HETS-Genève, chercheuse associée IRS
Dr. Robert Sempach, Netzwerk Caring Communities
Stéphane Birchmeier, responsable du secteur aînés, Service social, Ville de Genève, et vice Président du Réseau suisse des ville amies des aîné.e.s.
Sandrine Gilliéron, travailleuse sociale communautaire, Service social, Ville de Genève
Joëlle Oudard, responsable du Dispositif social de proximité, Service social, Ville de Genève
Anne-Marie Nicole, Coordination romande Réseau Caring Communities
Anna Dietsche, Soziokulturelle Animatorin FH
Petra Köchli, Forschungsgruppe Grün und Gesundheit Kloten
Silvia Rei et Jeanne de Bussac, Pro Senectute Vaud
Marco Looser, Sozialdiakon, Evang. -ref Kirche Zürich Witikon
Christa Schönenberger, Sozial-Raum-Moderation & Projekte, Aufbau und Moderation GEWO Burgdorf und Stefanie Lüthi, Soziokulturelle Animatorin und Gemeinwesenarbeiterin
Sandra Stark, Sozialraumorientierte Altersarbeit, Pro Senectute der Stadt St.Gallen.