FR | DE
FR | DE

Herbstseminar| Netzwerk lebendige quartiere

Dienstag, 25. OKtober 2022

Digital vernetzt im Quartier

Das diesjährige Herbstseminar des Netzwerks Lebendige Quartiere stand unter dem Titel «Digital vernetzt im Quartier». Für das Quartierleben birgt die digitale Vernetzung nämlich vielfältige Potentiale. Digitale Quartierplattformen können dabei helfen, neue Bekanntschaften zu knüpfen und die Identifikation mit der Nachbarschaft zu stärken. Formen digitaler Vernetzung ermöglichen und erleichtern das Organisieren sozialer Aktivitäten, das Teilen von Ressourcen oder die Vermittlung von Unterstützungsangeboten. Über soziale Medien können Menschen mit ähnlichen Interessen gefunden werden und Interessensgruppen zu lokalen Themen gebildet werden. Das Potential der Plattformen scheint gross und erste Erfahrungen wurden gesammelt. Gleichzeitig gilt es aber auch Risiken und Nebenwirkungen der Digitalität für das Zusammenleben im Quartier zu beachten. In diesem Sinne widmete sich das Herbstseminar folgenden Fragen:

Wie kann das inklusive Potential der Digitalisierung in Quartieren genutzt werden?  Welche Erfahrungen haben wir bisher mit digitalen Lösungen für die Vernetzung im Quartier gemacht? Welche Tools eignen sich wofür? Welche Tools braucht es nicht? Wie können wir digitale Plattformen und Lösungen gezielt und ergänzend zu analogen Massnahmen bei der Quartierarbeit einsetzen? Auf welche Datenschutzfragen müssen wir achten und wer ist dafür verantwortlich? Und inwiefern kann die Digitalisierung soziale Kontakte ermöglichen und ersetzen und wo nicht?

Im ersten Teil der Veranstaltung erhielten die rund 100 Teilnehmenden durch 4 Inputreferate einen Überblick der aktuellen Forschung und Praxis zu Quartiervernetzungsplattformen, deren Chancen und Herausforderungen.  Anschliessend bot sich die Gelegenheit, an sechs Marktständen konkrete Projekte aus den Quartieren kennenzulernen.

Präsentationen

Matthias Holenstein, Geschäftsführer Stiftung Risiko_Dialog

Edith Maier, Professorin für Wirtschaftsinformatik, Ostschweizer Fachhochschule

Leandra Choffat, wissenschaftliche Mitarbeiterin, ETH Wohnforum

Nina Müller und Eike Rösch, Verein Radarstation

Praxisbeispiele (Marktstände)
meinquartier.zuerich, Werner Liechtenhan, Projektleiter, Stadt Zürich

Remishueb-App, Simon Netzle, Fachspezialist Kommunikation, Stadt St.Gallen

Quartiernetz Breite, Lotti Winzeler, Leiterin Koordinationsstelle Alter, Stadt Schaffhausen

plateforme numerique Ô P’tit‑Sac, Lydie Morel-Jean, Co-présidente Association Ô P’tit‑Sac et Nadine Cortinovis, travailleuse sociale communautaire, Ville de Genève

participer.ge, Matthias Lecoq, chef de projet Concertation, Etat de Genève

plateforme Resoli, Véronique Zwald, ProSenectute Vaud et Dominique Breider, Association 55+ Ecublens

Zusammenfassung der Veranstaltung

Matthias Holenstein, Geschäftsführer der Stiftung Risiko-Dialog, führte mit einer Auswertung des DigitalBarometer  in das Thema ein. In der repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2019 fanden rund 50% der Schweizer Bevölkerung, dass sich das Zusammenleben durch die Digitalisierung stark oder sehr stark verändern werde. Dies bietet Chancen, sollte jedoch auch nicht in blinde Euphorie überschwappen, so Holenstein. Schliesslich benutzen zurzeit erst rund 10% der Bevölkerung digitale Tools zum Nachbarschaftsaustausch. Besonders wichtig findet Matthias Hollenstein, dass Digitalisierung in der Quartierarbeit in bestehende Strukturen eingebettet wird. Ein Top-Down-Ansatz sei jedoch in vielen Fällen weniger erfolgreich, als wenn die Initiative aus der Quartierbevölkerung kommt. Weitere Erkenntnisse aus der Evaluation der Quartieridee Wipkingen und Stadtidee Zürich, die die Stiftung Risiko-Dialog begleitet hat, lauten: Ziele und Erwartungen an partizipative Budgets bzgl. Inklusion und Diversität sind im Voraus realistisch einzuschätzen und festzulegen. Und diese attraktive und partizipative Weiterentwicklung der lokalen Demokratie erreicht die Bevölkerung nur, wenn genügend Mittel für die analoge und digitale kommunikative Begleitung der Projekte eingesetzt werden. Der Aufwand der lokalen Verwaltung ist dabei nicht zu unterschätzen.

Als zweites sprach Edith Maier, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Ostschweizer Fachhochschule, über hybride Sozialräume und wie digitale Vernetzungstools funktionieren können. Im Rahmen des trinationalen Projekts «Technik im Quartier» hat sie sich unter anderem mit der Frage auseinandergesetzt, was die Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Einführung und einen nachhaltigen Betrieb von Quartierplattformen sind. Das Leben findet heute in hybriden Sozialräumen statt was bedeutet, dass wir sowohl digital, als auch analog zusammenleben und vernetzt sind. Diese Kombination ist in der Praxis nicht leicht zu bewerkstelligen. Maier betonte, dass der Erfolg oftmals von starken PartnerInnen und InitiantInnen vor Ort abhängig ist. Die lokalen Sozialraumakteure müssen Interesse haben und sich beteiligen. Gleichzeitig muss jedoch die langfristige Finanzierung gewährleistet sein, was oftmals von der Gemeinde abhängig ist. Kurzum könnte das Fazit lauten: Digitale Quartierplattformen sind keine Selbstläufer. Notwendige Erfolgsvoraussetzungen sind ein direkter Mehrwert für die Nutzenden der Plattformen und die Unterstützung der Gemeinde.

Leandra Choffat, wissenschaftliche Mitarbeiterin vom ETH Wohnforum, präsentierte die Ergebnisse einer quantitativ-qualitativen Studie zu digitalen Nachbarschaften in zwei Zürcher Quartieren. Mit Fragebogen, Interviews und Co-Creation Workshops analysierte das Wohnforum zwei Quartier-Apps, wobei insbesondere auffiel, dass viele Familien mit kleinen Kindern die Apps benutzen. Untervertreten sind Jugendliche, Studierende und nicht-Deutsch sprechende Personen. Um Inklusion zu ermöglichen, sollte der Fokus künftiger Projekte deswegen auf der Mehrsprachigkeit und non-verbaler Kommunikation liegen. Wichtig ist auch der Einbezug von engagierten Personen, welche zu Vertrauenspersonen werden und die EinwohnerInnen zur Mitgestaltung ermutigen können. Nicht zuletzt sollten die Quartier-Plattformen die Kommunikation in kleineren Gruppen ermöglichen, was einem menschlichen Bedürfnis entspricht und die Hemmschwelle für die Nutzung senken lässt.

Der Verein Radarstation, gegründet im Sommer 2021, setzt sich mit Fragen der Digitalisierung in der Soziokulturellen Animation auseinander. Nina Müller und Eike Rösch berichteten am Herbstseminar vom Barcamp Soziokultur und digitaler Wandel, den sie diesen September gemeinsam mit dem Dachverband offene Jugendarbeit DOJ und Soziokultur Schweiz erstmals organisierten. Das offene Format des Barcamps, bei dem die Teilnehmenden zuerst gemeinsam das Programm der Veranstaltung definieren, entsprach dem Bedürfnis nach einem Austausch zu Digitalität und Soziokultur, wo es viele und vielseitige offene Fragen gibt. Einen Einblick in die entsprechend vielfältigen Sessions zu «hybriden Räumen», «Digitalkompetenzen» oder «Widerstände und Hindernisse bei der Einführung und Umsetzung digitaler Angebote» erhalten sie hier.

Im zweiten Teil des Nachmittages wurden an sechs Marktständen konkrete Projekte der digitalen Quartierentwicklung vorgestellt. Apps zur politischen Partizipation, Nachbarschaftshilfe und Quartiervernetzung wurden präsentiert und hilfreiche Tipps weitergegeben. Im gemeinsamen Austausch wurden Ideen weiterentwickelt und auch die Gründe für das Scheitern von bisherigen Projekten besprochen.

Zum Schluss wurden im Plenum die Erkenntnisse zusammengefasst und diskutiert. Ein grosses Thema war die Inklusion von marginalisierten Gruppen in Quartier-Apps. Vielleicht erstaunlicherweise ist es nicht die ältere Bevölkerung, die durch Quartierapps nicht erreicht wird, sondern oftmals Junge und nicht-Deutschsprechende. Angesprochen wurde unter anderem auch, dass kleinere Gruppen oft mehr Aktivität vorweisen als grosse Gruppen und Immobilienakteure in der Diskussion nicht vergessen werden sollen. Sicher ist: die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten für die Quartierarbeit. Der Erfolg ist jedoch kein Selbstläufer und hängt von viele Faktoren auf Quartier- und Gemeindeebene ab: Nebst personellen und zeitlichen Ressourcen müssen auch Ziele und Erwartungen an die Quartierplattformen geklärt werden und die lokalen Kontexte genau analysiert und berücksichtigt werden. Patentrezepte gibt es deshalb (noch) nicht. Die vielfältigen Erfahrungen und Erfolge der Teilnehmenden des Herbstseminars mit der digitalen Vernetzung im Quartier zeigen aber, dass viele Wege zum Ziel führen können und sich der Austausch untereinander dazu deshalb lohnt.

.

WEITERE Veranstaltungen

Quartierarbeit in und um Neubauquartiere
23. April 2024
Anmeldefrist: 17. April 2024
Am Nachmittag des 23. April 2024 findet das Frühlingsseminarseminar des Netzwerks Lebendige Quartiere in der Aula des Kulturzentrums PROGR in…