Programm
FrühlingsSeminar | Netzwerk lebendige quartiere
Dienstag, 23. April 2024, 13.15 bis 17.15 Uhr
Quartierarbeit in und um Neubauquartiere
Am 23. April 2024 hat im PROGR in Bern das Herbstseminar des Netzwerks lebendige Quartiere zum Thema „Quartierarbeit in und um Neubauquartiere“ stattgefunden. In den Agglomerationen entstehen grosse Neubausiedlungen. Diese Siedlungen bieten Wohn- und Lebensraum für verschiedenste neue Bewohnende. Doch gerade grossen Neubauquartiere stellen die Städte vor Herausforderungen: es gilt den sozialen Zusammenhalt der Stadt und im Quartier aufrecht zu erhalten. Die neuen Bewohnenden und die bereits Ansässigen sollen zusammenfinden, sich als Gemeinschaft bewegen und begegnen und sich mit dem Quartier und der Stadt identifizieren können.
Wie kann das am besten gelingen? Wie kann der soziale Zusammenhalt von Neubausiedlungen längerfristig ermöglicht werden? Welche räumlichen, d.h. baulichen, sozialen und prozessualen Aspekte müssen beachtet werden, damit das Zusammenführen von neuen Stadtteilen mit bestehenden Quartierstrukturen in einer ständig wachsenden Stadt gelingt? Welche Akteurinnen sind zentral und welche Rolle und Aufgaben muss, soll, kann die Quartierarbeit hierbei spielen? Diesen Fragen sind die Teilnehmenden am Frühlingsseminarseminar des Netzwerks Lebendige Quartiere nachgegangen.
Im ersten Teil der Veranstaltung sind diese Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven in zwei Input-Referaten besprochen worden. Danach haben sich die Teilnehmenden in verschiedenen Workshops mit Praxisbeispielen auseinandersetzen und die Rolle der Quartierarbeit in Neubauquartieren gemeinsam diskutieren können.
Referate
Barbara Emmenegger: Ganzheitliche qualitätsvolle Siedlungsentwicklung – ein Überblick
Barbara Emmenegger ist Soziologin und berät mit ihrem Büro Soziologie & Raum Zürich Städte, Gemeinden und institutionelle sowie private Organisationen. In ihrem Referat spricht sie über Neubausiedlungen im Kontext der Innenentwicklung. Innenentwicklung hat Auswirkungen auf das Zusammenleben. Die zunehmende räumliche Nähe, bedeutet auch ein Zunehmen von Unterschiedlichkeiten, welche sich durch gesellschaftlichen Wandel verstärkt. Diese Ausdifferenzierung der der Gesellschaft, bedeutet auch, dass die Frage gestellt werden muss: wie viel und welche soziale Nähe ist gewünscht? Für Barbara Emmenegger ist diese Frage zentral, wenn durch Innenverdichtung neue Siedlungen entstehen.
Dies weil Raum aus einem Wechselspiel aus sozialem Verhalten und gebautem Raum entsteht. Deswegen appelliert Barbara Emmenegger auch für die Wichtigkeit von interdisziplinären Gruppen in der Planung von Neubausiedlungen – denn keine Berufsgruppe kann alle diese Aspekte in der Planung vereinen und denken. Die Diskussion im Planungsgremium und in der Jury sollen auch von Anfang an mit verschiedenen Fachpersonen geführt werden.
Insbesondere Fachpersonen aus der Sozial(planung) dürfen nicht vergessen werden. In diesem Zusammenhang sieht Barbara Emmenegger zwei Herausforderungen: die Betonung der Wichtigkeit von sozialer Nachhaltigkeit, obwohl diese in Projekten nur schwer messbar ist. Je länger, je mehr finden auch soziale Aspekte ihre Wichtigkeit in der Ausarbeitungsphase, allerdings werden diese dann in der Umsetzungs- und Bauphase nicht mehr mitgedacht (Flaschenhals). Prozessuale Abläufe müssen also so gedacht werden, dass soziale Aspekte während des ganzen Prozesses mitgedacht und umgesetzt werden. Konkret geht es darum, in der Siedlungsgestaltung intermediäre Strukturen aufzubauen, Räume für Interaktionen und soziales Zusammenkommen einzuplanen. Dabei geht es auch um die Bereitschaft, Verantwortung abzugeben an die Bewohnenden. Auch hier geht es um Ganzheitlichkeit: alle Betroffenen sollen einbezogen werden. So lohnt es sich beispielsweise, Verwaltung und Hauswartung in Prozesse einzubeziehen (wie in der Siedlung Rietmen).
Barbara Emmenegger, Soziologin, Soziologie & Raum Zürich
Dario Spini: CauseCommune – Réalisations et réflexions autour d’une action-recherche participative
Dario Spini ist Sozialpsychologe und Professor an der Universität Lausanne. Im Auftrag der Gemeinde Chavannes-Près-Renens haben Dario Spini und sein Team partizipative Verfahren durchgeführt, welche den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinde fördern. Diese Erkenntnisse dienen auch als Forschungsdaten. Das Projekt trägt den Namen CauseCommune (ein Wortspiel übrigens, welches einen doppelten Sinn hat: Sache der Gemeinde, gemeinsame Sache). Ziel des Projekts ist es, partizipative Prozesse mit und für die Bevölkerung durchzuführen. Die Bevölkerung von Chavannes-Près-Renens hat sich innerhalb von 15 Jahren verdoppelt. Zusätzlich steht Chavannes-près-Renens vor den Herausforderungen, vor welchen die städtischen Gemeinden stehen: Innenentwicklung und -verdichtung, Klimawandel und Anpassung an den Klimawandel, die Gesundheit der Bevölkerung (santé publique) und der soziale Zusammenhalt. Durch das starke Bevölkerungswachstum steht diese im Zentrum des Mandats von CauseCommune in Chavannes. CauseCommune führt mittlerweile auch partizipative Prozesse in anderen Gemeinden durch.
Die partizipativen Prozesse werden in drei Phasen durchgeführt: eine erste Phase des Zuhörens durch welche Probleme identifiziert werden. Anschliessend werden Projekte erarbeitet und in einer letzten Phase werden diese umgesetzt. Im Laufe des Projekts ist zwischen den Phasen zwei und drei noch eine weitere Phase, die der Verhandlung zwischen der Bevölkerung und ihren Anliegen mit der Gemeinde eingeführt worden. Diese Phase trägt zum gegenseitigen Verständnis der Parteien bei und ist unumgänglich für die Umsetzung der Projekte.
Die Begleitung der partizipativen Prozesse ermöglicht es dem Team um Dario Spini Forschung durchzuführen. An seinem Referat teilt er die die wichtigsten Erkenntnisse der Studien mit uns. Soziale Beziehungen sind ein wichtiger Aspekt der Gesundheit: Soziale Beziehungen und Begegnungsorte tragen wesentlich auch zur Qualität des Quartiers bei. Er erläutert das Konzept der sozialen Infrastrukturen. In den Gemeinden sind physische Infrastrukturen und deren Erhalt ein fester Teil des Budgets, für Projekte, bei welchen es um soziale Beziehungen geht, muss aber stets Finanzierung gefunden werden. Die Lösung liegt insofern auf der Hand: soziale Beziehungen und deren Erhalt muss auch ein fester Teil des Budgets werden. Soziale Infrastrukturen sind Dinge, welche es erleichtern soziale Beziehungen aufzubauen und zu erhalten. Dario Spini appelliert deswegen an eine Abteilungsübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Stadtverwaltungen, auch in Budgetfragen. In Chavannes wurden etwa die Sozialen Dienste nicht zu den Infrastruktursitzungen eingeladen.
Dario Spini Professeur, Institut de Psychologie et Centre LIVES, Université de Lausanne
Alain Plattet, Chef du domaine vie des quartiers, Lausanne
Ateliers
Atelier 1 : La planification de détail : une tâche exigeante au service du développement de quartiers, EspaceSuisse
Atelier 2 : Mise en place d’un système de gouvernance dans un nouveau quartier de Vernier (GE), Ville de Vernier
Atelier 3: Schnittstellen & Kooperationen zwischen Quartier- und Siedlungsarbeit, Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit
Atelier 4: Siedlungsarbeit als Chance für die Integration von Neubausiedlungen ins Quartier, ITOBA GmbH
Atelier 5: Soziale Siedlungsentwicklung in Neubausiedlungen: Aktivieren und Beteiligen – Konzepte und Methoden für starke Nachbarschaften,
Katharina Barandun – Siedlungscoach
Atelier 6: Ein Quartier beleben anhand des Beispiels «Glasi-Areal», Stadt Bülach
Zum Schluss sind die Ergebnisse kurz im Plenum diskutiert worden. Als besonders wichtig wird hervorgehoben, dass der soziale Zusammenhalt von Siedlungen von Anfang an mit ganzheitlich mitgedachte werden muss. Es müssen einerseits räumliche gebaute Möglichkeiten wie etwa Gemeinschaftsräume geschaffen werden, aber auch Möglichkeitsräume, welche sich die Anwohnenden aneignen können. Als roter Faden muss sich die soziale Nachhaltigkeit durch das ganze Projekt ziehen damit auch alle in des Projekt Involvierte darin einbezogen werden. Der soziale Zusammenhalt soll aber auch über die Siedlung hinaus und mit den bereits bestehenden Strukturen im Quartier gedacht werden: kann die neue Siedlung etwas für das Quartier bieten? Wie kann die neue Siedlung in den bestehenden Strukturen mitgedacht werden? Die Interdisziplinarität der Zusammenarbeit in der Verwaltung und in der Planenden Gruppe steht hier im Zentrum um den sozialen Zusammenhalt zu denken.